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Begegnungen

Der Mensch lebt in Impressionen, ob er will oder nicht. Alles, was wir im eigenen Leben erleben, sind Augenblicke, die hintereinander vor unseren Augen erscheinen; wir nehmen sie wahr als reales Bild der Wirklichkeit, als Ereignisse, Geschichten, als Fluss des Lebens. Aus der Erfahrung erleben wir unendliche Vielfalt von Augenblicken, viele nehmen wir in dem alltäglichen Lebensfluss nicht bewusst wahr, andere wecken in uns das Leben und hinterlassen in unserem Bewusstsein tiefe Erinnerungen; die schlechteren dann, auch deutliche Spuren im Körper.

In Rahmen meiner Tätigkeit als Stadtführer in Český Krumlov durfte ich vor einiger Zeit auch zwei ältere Geschwister aus Wien begleiten. In das Örtchen Krumau sind sie zum ersten Mal gekommen. Dank der neu gewonnenen Freiheit ist Český Krumlov wieder einen Besuch wert. Menschen reisen aus verschiedenen Gründen, ob beruflichen, privaten, oder wollen etwas neues kennen lernen, sich erholen und unterhalten.

Meine damaligen Besucher aus Wien hatten einen ganz anderen Grund zu ihrer Reise. Ihr Ziel war das Land und den Ort der früheren Verwandten zu besuchen, einen Ort, wo sie früher zu Hause waren. Wir haben uns vorgestellt,  angelächelt und angefangen zu reden. Ich erfuhr, dass Hilda und Artur (die Namen sind geändert) dem jahrelangen Wunsch nachgegangen sind, die ursprüngliche Heimat wieder zu sehen, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg als 12 und 6 jährige Kinder verlassen mussten. Bei der damaligen Vorgehensweise galt das Prinzip von Ursache und Wirkung, die Ursache war der Krieg, die Wirkung war die Abschiebung und Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten Europas nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das zu verstehen war für die Kinder unmöglich, sie konnten es einfach nicht.

Nach 60 Jahren sind sie doch gekommen. Besonders bei Frau Hilda kam die tiefe, verborgene Wehmut hoch, sie hat den ganzen gemeinsamen Spaziergang nur geweint. Das Weinen half ihr, den Kummer aus der Seele zu spülen, es ermöglichte ihr nach langer Zeit, sich mit den Erlebnissen aus der kindlichen Vergangenheit abzufinden. Von den beiden Geschwistern war sie es, die das damalige Erlebnis und die Realität der Gegenwart durch die Tränen ausgedrückt hat.

Sie erlebte Augenblicke der frei werdenden, mit der Zeit verdrängten Konflikte. Selbstverständlich haben auch beide wahrgenommen, dass heute Český Krumlov anders ist: frei, voller Leben, mit einem Hauch von Internationalität.

Gemeinsam haben wir uns erinnert, wie unterschiedlich unsere Bestimmungen waren, obwohl sie, dank der Abschiebung aus der damaligen Tschechoslowakei doch am Ende Glück hatten, nach den schweren Anfängen in der neuen Heimat, in der Freiheit einer Demokratie zu leben, während wir in einer anderen, totalitären Welt leben mussten. Russische und amerikanische Soldaten haben den deutschen Nationalsozialismus besiegt, die Welt vom Grauen des Krieges befreit. Sie wussten aber nicht, dass sie in dem Kampf auch für eine andere Art der Unfreiheit gestorben sind, die bald nach dem Ende des Krieges durch die kommunistische Diktatur in der Tschechoslowakei errichtet wurde.

Nach langen Jahren der Angst und Entbehrungen,haben auch wir den Zerfall dieses beschränkten, unfreien, abgestumpften politischen Systems erlebt. Der Grund ist nahe liegend: „der Fisch stinkt von Kopf her“. Der begonnene Zerfall der Sowjetunion leitete einen Änderungsprozess in den durch den Kommunismus gedemütigten Ländern ein. Aus der Volksmasse sind Menschen geworden, Einzelwesen mit Gesichtern und Namen. Heute können wir leben ohne politische Vorschriften, wenn wir wollen, können wir studieren, frei reisen, die Welt kennen lernen und die Welt kann frei zu uns kommen.

Somit können wir heute solche Begegnungen erleben, in denen wir gemeinsam viel entdecken können, nach Erklärungen suchen, rasante Augenblicke der Veränderungen wahrnehmen können. Es freut mich, dass die Grenzen in Europa an Sinn verloren haben, es freut mich, dass solche Begegnungen immer öfter werden. Augenblicke der Vergangenheit fließen in Augenblicke der Gegenwart.

In der gemeisamen Komunikation können wir den Weg zur Lösung aus unseren vergangenen Konflikten finden.

Radomír Markovíč

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